Force Majeure in der Kunststoffindustrie

Fragen und Antworten: Was Kunststoffverarbeiter wissen müssen, wenn der Lieferant nicht mehr liefert – Informationen zum Themenkomplex Force Majeure, Corona und Kunststoff-Preisentwicklung sowie Tipps für die Praxis.

Seit Beginn der Corona-Pandemie geht die Zahl der „Force Majeure"-Meldungen (FM) in der Kunststoffindustrie durch die Decke. Es vergeht kaum eine Woche, in der Rohstoffproduzenten nicht ihre Lieferungen unter Verweis auf höhere Gewalt einschränken oder einstellen. Für Kunststoffverarbeiter sind FMs oft Schreckensmeldungen: Denn sobald der Nachschub an Rohstoffen stockt oder versiegt, drohen Produktionsstopps und eigene Lieferausfälle. Was also sollten Verarbeiter wissen und tun, wenn der Lieferant nicht mehr liefert? Die Redaktion von KunststoffWeb und KI - Kunststoff Information hat mit Rechtsexperten und Einkaufsspezialisten gesprochen – Fragen und Antworten zu einem akuten Thema.

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Aktueller Anlagenstatus der europäischen Kunststofferzeugung für ausgewählte Polymere und Vorprodukte (Quelle: Polyglobe).

Was ist eine „Force Majeure“?

Mit „Force Majeure“ (FM / „Höhere Gewalt“) begründen Unternehmen die Unmöglichkeit, eine vertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen: Der Verkäufer sieht sich aufgrund einer unvorhersehbaren Situation, die er selbst nicht beeinflussen kann, nicht in der Lage, eine vertraglich vereinbarte Dienstleistung oder ein Produkt zum vereinbarten Zeitpunkt zu liefern. Dazu gehören zum Beispiel Kriege, Bürgerkriege, Revolutionen, Erdbeben, Hurrican, Feuer oder Pandemien. In diesen Fällen entfällt die Lieferverpflichtung. Das ursprüngliche Vertragsverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer besteht aber trotz FM fort.

Aktuelle Force Majeure Meldungen der europäischen Kunststoffindustrie

Wieso kommt es in Corona-Zeiten zu so vielen Force Majeures?

Die Pandemie traf und trifft auf einen global vernetzten Handel, der auf einem permanenten Austausch von Waren und entsprechend hoch ausgelasteten Lieferketten beruht. Eine vorratsorientierte Warenlagerung gibt es insbesondere in den Industrienationen praktisch nicht mehr. Dieses fragile System des „Just in time-Supply" gerät bei unvorhergesehenen Störungen (heftige regionale Nachfrageschwankungen, Quarantäneregelungen, Stilllegungen von Produktionsstätten oder auch Extremwettereinflüsse) aus dem Gleichgewicht.

Anlagenstilllegungen, Nachfrageschwankungen sowie Coronamaßnahmen stören den „Just in time-Supply" und sorgen für gestiegene Frachtraten (Chart: KI).

Können sich Unternehmen vertraglich gegen Force Majeure absichern?

Faktisch nein. Jedoch sollten Käufer darauf achten, dass in ihren Lieferverträgen spezielle Klauseln enthalten sind, die die Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien im Falle einer Force Majeure regeln. Entsprechende Musterformulierungen stellt etwa die International Chamber of Commerce Germany zur Verfügung. Besonders wichtig ist es, in dem Liefervertrag die exakte Frist festzulegen, wann Unternehmen, die aufgrund einer FM-Meldung nicht beliefert werden, das Recht haben, sich nach einem Ersatzlieferanten umzuschauen.

Force Majeure Musterklauseln zum Download

Was sollte vertraglich noch geregelt sein?

Der Käufer sollte darauf achten, dass das bestellte Produkt in dem Vertrag zwar stofflich und in seinen Materialeigenschaften präzise beschrieben ist, aber nicht mit dem Markennamen bezeichnet wird. So hat er im Fall einer Force Majeure einen größeren Spielraum, vom Vertragspartner die Lieferung geeigneter „Ersatzprodukte" zu verlangen. Vorsicht: Diese Markenflexibilität und -ungebundenheit muss sich der Käufer auch in den Verträgen mit seinen eigenen Kunden entsprechend einräumen lassen.

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Was ist zu tun, wenn der Rohstofflieferant eine Force Majeure verkündet?

Zunächst und vor allem kommt es darauf an, einen kühlen Kopf zu bewahren. In Panik oder Aktionismus zu verfallen bringt nichts. Die FM-Meldung des Lieferanten sollte – unter Hinzuziehung des Unternehmensanwalts – analysiert und bewertet werden: Was genau steht in der FM-Meldung, und was bedeutet der angekündigte Lieferausfall konkret fürs eigene Unternehmen? Ist dadurch die Produktionssicherheit gefährdet? Muss die Abarbeitung von Aufträgen verschoben oder umdisponiert werden? Ist es klar, welche Konsequenzen sich aus der FM ergeben, sollte der direkte Austausch mit dem Ansprechpartner auf Seiten des Lieferanten gesucht werden. Geklärt werden muss: Worauf gründet der Verkäufer seine FM-Meldung? Droht ein totaler Lieferstopp oder wird die Liefermenge nur eingeschränkt? Wie lange soll die Maßnahme dauern? Besteht die Möglichkeit einer Ersatzbelieferung mit Alternativmaterialien?

Welche Rechte habe ich bei Force Majeure gegenüber meinem Lieferanten?

Rechte und Pflichten des Käufers richten sich nach den vertraglichen Vereinbarungen. Enthält der Vertrag keine explizite FM-Klausel, gilt die FM grundsätzlich so lange als gegeben, bis die Gründe für die FM behoben sind oder dem Ausrufer der FM belegt werden kann, dass es sich eben nicht um eine FM handelt. Diejenige Vertragspartei, die eine FM ausruft, wird für die Dauer der FM ihrer vertraglichen Pflichten entbunden. Die Konsequenzen daraus haben die Vertragsparteien jeweils für sich zu tragen.

Lässt sich die Berechtigung einer Force Majeure-Meldung überprüfen?

Grundsätzlich ist der Lieferant gegenüber dem Kunden dazu verpflichtet, die Gründe der von ihm behaupteten FM darzulegen und die mutmaßliche Dauer der FM anzugeben. Zweifelt der Kunde an der Berechtigung der FM, sollte er zunächst direkt bei seinem Lieferanten nach Details fragen und versuchen, deren Plausibilität einzuschätzen. Hilft auch das nicht weiter, bleibt letztlich nur noch der Weg zum Anwalt. Im äußersten Fall muss ein Gericht entscheiden, ob sich der Lieferant zu Recht auf eine Force Majeure berufen hat.

Ist es sinnvoll, gegen eine Force Majeure-Meldung vor Gericht zu ziehen?

Das lässt sich nicht grundsätzlich beantworten. Der Gang vors Gericht stellt die ultimative Eskalationsstufe dar und dürfte die Geschäftsbeziehung zum Lieferanten im Zweifelsfall massiv und nachhaltig belasten. Gerade in dem von Oligopolstrukturen geprägten Rohstoffmarkt birgt das Risiken. Hinzu kommt: Prozesse dauern oft lange, sind mit unabsehbaren Kosten verbunden – und der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss. Kunden, die gegen ihren Lieferanten vor den Kadi ziehen wollen, sollten sich das also vorab gut überlegen und es sich auch finanziell leisten können, bis zum finalen Urteil durch die Instanzen zu gehen.

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Wie lange kann eine Force Majeure dauern – und darf sie verlängert werden?

Eine gesetzliche Maximaldauer für FMs gibt es nicht. Denn wie lange es dauert, die Gründe für die Force Majeure zu beheben, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Wenn der Lieferant die Verlängerung der FM gegenüber seinen Vertragspartnern mit sachlichen Argumenten begründet, kann er die FM mehrfach verlängern. Gleichzeitig gilt natürlich: Lieferanten leben davon, Produkte zu verkaufen. Insofern sollten sie üblicherweise ein Interesse daran haben, eine FM schnellstmöglich zu beheben.

Kann der Lieferant im Falle einer Force Majeure gewechselt werden?

Jedenfalls nicht ohne Weiteres und nicht sofort. Daher sind FM-Klauseln sinnvoll, nach denen ein Lieferantenwechsel nach einer bestimmten FM-Dauer möglich ist. Doch auch wenn solche Klauseln fehlen, kann der Käufer versuchen, mit seinem Lieferanten eine vorübergehende Außerkraftsetzung des Vertrags zu vereinbaren, um anderswo einzukaufen.

Besteht ein Sonderkündigungsrecht für Lieferverträge im Falle einer Force Majeure?

Jedenfalls nicht grundsätzlich. Es sei denn, es ist vertraglich explizit vorgesehen oder die beteiligten Unternehmen einigen sich auf eine einvernehmliche Vertragsauflösung. Nach den Usancen des internationalen Handelsrechts besteht ein Sonderkündigungsrecht erst, wenn die FM länger als 120 Tage dauert.

Führt eine Force Majeure automatisch zu höheren Preisen?

Grundsätzlich gilt auf dem Kunststoffmarkt: Die Preise bilden sich nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot gering und die Nachfrage hoch, steigt typischerweise auch der Preis. Beim Sonderfall der FM gilt: Die Lieferanten bleiben, auch wenn sie FM anmelden, an bestehende Verträge und darin vereinbarte Preise gebunden. Wenn sie ihre Kontraktkunden nicht im vereinbarten Umfang mit Waren versorgen können, dürfen sie die Lieferung der ausstehenden Restmenge nicht von der Zahlung eines höheren Preises abhängig machen. Die Allokation der produzierten geringeren Menge darf also nicht zu erpresserischen Preiserhöhungen durch die Hintertür missbraucht werden.

Auf dem freien Markt schlägt die marktwirtschaftliche Logik von Angebot und Nachfrage freilich umso gnadenloser zu: Je mehr sich die FM-Meldungen häufen und je dramatischer die Versorgungsengpässe, umso rasanter steigt der Preis für die wenige, am Markt verfügbare Ware. Verarbeiter, die auf den Einkauf einer bestimmten Menge an Rohstoffen angewiesen sind, um ihre Produktion am Laufen halten und ihren eigenen Lieferverpflichtungen nachkommen zu können, werden also tiefer in die Tasche greifen müssen.  

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Wie lässt sich den Folgen einer Force Majeure vorbeugen?

Viele Unternehmen bauen nach den Erfahrungen aus der Pandemie ihre Lagerkapazitäten aus. Außerdem sollte der Einkauf möglichst flexibel aufgestellt sein: Gekauft wird, wenn die Marktlage es hergibt. Was wie eine Binsenweisheit klingt, haben viele Einkäufer in der Vergangenheit versäumt. Kleinere Unternehmen könnten sich zudem gegenseitig aushelfen. Wenn „Unternehmer X“ noch PVC vorrätig hat, aber dringend ABS benötigt, kann er mit „Unternehmer Y“, dem es genau umgekehrt geht, sicher zu einer Lösung kommen. Je größer das Netzwerk an Unternehmen mit gleich gearteten Interessen ist, umso mehr dieser informellen „Tauschmöglichkeiten“ bieten sich.

Wer bietet Hilfe und Beratung?

Erste Anlaufstellen im Falle einer Force Majeure-Meldung – und auch schon davor! – sind der Firmenanwalt, die regionalen Industrie- und Handelskammern sowie die Branchenverbände. Außerdem kann der kollegiale Austausch mit anderen Unternehmern, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, positive Impulse und Erkenntnisgewinn bringen.

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